BIOGRAPHIE

Die Texte und ein Grossteil der Bilder stammen aus dem Buch "Arnold Brügger Leben und Werk" von Stephan Flury und Peter Killer.

JUGENDJAHRE


Am 19. Oktober 1888 wird Arnold Brügger in Meiringen geboren. Er wächst in einer grossen Familie mit fünf Halbgeschwistern und acht Geschwistern auf. Unter den Vorfahren väterlicherseits finden wir viele Dorfpersönlichkeiten wie Statthalter und Gemeindeschreiber; der Grossvater ist Notar.

Sein Vater, Andreas Brügger, ein angesehener Kaufmann, gründet 1876 zusammen mit Johann Klein die Lokalzeitung

"Der Oberhasler, das Organ für die Interessen des Haslethals". Sie erscheint wöchentlich und wird am Anfang von Andreas Brügger von Hand direkt, also seitenverkehrt, auf den Lithostein geschrieben und gezeichnet! Er überlässt 1878 die Herausgabe des Blattes seinem Partner, der auf Buchdruck umstellt. Andreas Brügger gründet im selben Jahr die Kunstanstalt Brügger welche bis 1994 existierte. Mit visionärem Gespür erkennt er die grossen Entwicklungsmöglichkeiten des Fremdenverkehrs. Der massive Ausbau der Verkehrswege fördert den Aufschwung wesentlich.

Meiringen ist der Hauptort des Amtsbezirkes Oberhasli und liegt im Schnittpunkt von fünf Alpenübergängen (Grimsel, Susten, Grosse Scheidegg, Brünig und Jochpass). Am Ende des 19. Jahrhunderts gibt es in Meiringen 29 Hotels und Gaststätten.

Der Erste Weltkrieg beendet die Blütezeit des Fremdenverkehrs im Haslital. Die junge Kunstanstalt Brügger macht sich schnell einen Namen als Spezialistin für künstlerisch anspruchsvolle farbige Prospekte, Broschüren und Plakate. Zu den Hauptkunden gehören vor allem Hotels, Kurhäuser und Verkehrsvereine.

Courage, le diable est mort

 

Die Vorfahren der Mutter, Margaritha, geb. Anderegg, sind fast ausnahmslos Bauern, Jäger, Schnitzler und Kristallsucher. Besonders von seinem Grossvater Melchior Anderegg kann Brügger vielfältig profitieren. Dieser, von Beruf eigentlich Schnitzler, war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einer der angesehensten Bergführer im Alpenraum.

Die Engländer nannten ihn "the king of the guides", den König der Führer.

Er war bekannt für seine Unerschrockenheit und sein ausgeprägtes Verantwortungsgefühl. Man schätzte ihn allseits wegen seiner ausserordentlichen Fähigkeiten als Führer und vor allem auch aufgrund seiner liebenswürdigen, bescheidenen Art. Berühmt wurde Melchior Anderegg durch seine zahlreichen Erstbesteigungen. In heiklen Situationen munterte er die ihm anvertrauten Touristen gerne mit dem Ausspruch auf: "Courage, le diable est mort".

Der junge Arnold Brügger hat sich dieses Rates in vielen Situationen seines Lebens erinnert.

 

Frühe Prägungen

 

Mit den 1866 durch den grossen Rat des Kantons Bern beschlossenen Massnahmen (Kanalisierung der Aare, Entsumpfung, Verbauungen und neue Flureinteilung) wird den häufigen Überschwemmungen im Talabschnitt zwischen Aareschlucht und Brienzersee ein Ende bereitet. Diese langjährigen Arbeiten kosten jedoch viel Geld und gehen weitgehend zulasten der Hasler. Viele Familien können die Schuldzinsen bald nicht mehr aufbringen,

verarmen und sind zur Emigration gezwungen. So wandern, bei einer Bevölkerungszahl von rund 7’500, von 1883 bis 1887 insgesamt 500 Einwohner aus dem Haslital nach Übersee aus. Darunter auch die fünf älteren Halbgeschwister von Arnold. In der ganzen Schweiz nimmt man von diesen hohen Auswanderungszahlen Kenntnis. Auf Anfrage der Kantonsregierung begründet das Regierungsstatthalteramt Oberhasli die Auswanderungswelle mit der zu kleinen kultivierbaren Bodenfläche, der hohen Verschuldung und der verhältnismässig geringen Verkehrserschliessung. Das Thema der Auswanderung hat Brügger viele Jahrzehnte später, 1954, in einem grossformatigen Wandgemälde im neuen Primarschulhaus von Meiringen aufgegriffen und damit an eine schwierige Zeit im Hasli erinnert.

Das Jahr 1888, das Geburtsjahr Brüggers, ist für die wirtschaftliche Entwicklung des Haslitales von grosser Bedeutung. Durch die Eröffnung der Brünigbahn (Teilstrecke Alpnachstad – Meiringen – Brienz) wird das Hasli endlich auch eisenbahntechnisch erschlossen.

Die Fortsetzung nach Luzern ermöglicht, mit Umsteigen auf die schmalspurige Brünigbahn, den Anschluss an internationale Bahnlinien. Der Ausbau der Strassen begünstigt ebenfalls einen regen Tourismus in Meiringen. Die Schiffahrt von Brienz nach lnterlaken wird erst 1916 durch die Eröffnung der Eisenbahnstrecke Brienz – lnterlaken abgelöst. Die 1888 dem Publikum durch aufwendige Tunnel- und Stegbauten zugänglich gemachte Aareschlucht zählt zusammen mit den "bengalischen und elektrischen Beleuchtungen" des Alp- und Reichenbachfalles und den zahlreichen Wander-, Touren- und Klettermöglichkeiten zu den Hauptattraktionen der Region.

 

Dorfbrand

 

Der verheerende Dorfbrand von 1879 ist der Bevölkerung noch in naher Erinnerung. Wenige Tage nach dem dritten Geburtstag Arnolds brennt der grösste Teil von Meiringen zum zweiten Mal innerhalb von zwölf Jahren nieder. Bei starkem Föhn zerstört der Brand in nur zwei Stunden 183 Häuser. 854 Personen werden obdachlos, ein alter blinder Mann findet den Tod. Diese Brandkatastrophe hat sich dem Dreijährigen unauslöschlich eingeprägt. Bis das Elternhaus wieder aufgebaut ist, lebt Arnold vorübergehend bei seinen Grosseltern in Zaun ob Meiringen, einem Ort, an dem er später häufig mit Künstlerfreunden malen sollte.

Diese stete Bedrohung durch die Natur, der Respekt vor der Natur aber zugleich auch die Liebe zur Natur, prägen den Künstler. Er ist ein begeisterter Bergsteiger und Tourenfahrer und gründet 1908 zusammen mit Freunden den Skiclub Haslital Meiringen.

Arnold hat von Geburt an nur einen Arm, was ihn jedoch nicht hindert, überall mitzumachen. Später erinnert sich sein Sohn Kaspar:

"Es ist schon erstaunlich, was mein Vater alles mit nur einer Hand konnte. Ich weiss noch gut, wie er mit einer Hand Schneeballen machte und wir Kinder sehr überrascht waren von seiner Fertigkeit und Beweglichkeit. Oder wie er geschickt Holz spaltete, die Seehundfelle auf die Skier klebte und sogar Eishockey gespielt hat."

Die Hasler bekamen immer wieder Gelegenheit, Malern, die von den pittoresken Reizen des Berner Oberlandes angezogen waren, über die Schulter zu blicken und ihrer Umgebung auf Gemälden zu begegnen. Das sich schon früh äussernde Bedürfnis zu zeichnen und zu malen beruht keineswegs auf der vorbildlichen Wirkung der Künstlergäste.

Beeindruckt hat Arnold Brügger einzig eine Hodler-Ausstellung in Thun, die er mit seiner Schulklasse besuchte.

Das "Männerbildnis", 1905 des 17-jährigen zeugt von seiner grossen Begabung.

Er absolviert nun im elterlichen Betrieb eine vierjährige Lehrzeit als Lithograph. Er bezeichnet diese Ausbildung später als "vier Jahre lange und ebenso langweilige Lehrzeit". Sicher war er der strengen Auftragsarbeit überdrüssig und sehnte sich nach freiem Schaffen und einer Weiterbildung im eigentlich Künstlerischen. So wichtig wie seine Famille ist für Brügger seine Umwelt. Meiringen liegt abgelegen im Hasli. Das schmale Tal ist umgeben von schroffen Bergen. Es wurde immer wieder durch Brände, Bergstürze, Lawinenniedergänge und Überschwemmungen verwüstet.

Diese stete Bedrohung durch die Natur, der Respekt vor der Natur aber zugleich auch die Liebe zur Natur, prägen den Künstler. Er ist ein begeisterter Bergsteiger und Tourenfahrer und gründet 1908 zusammen mit Freunden den Skiclub Haslital Meiringen.

Laut Zeitungsartikel im "Oberhasler" gewinnt er bei einem Skifest in Château d’Oex das Stilfahren sowie den Sprunglauf. Brügger steht dem Skiclub von 1915 – 1919 als Präsident vor. Zu Beginn seiner Amtszeit wird laut Jubiläums-Chronik von 1983 das "zärtlichere" Geschlecht in den Klub aufgenommen. Hier festigt sich auch die Beziehung zu seiner späteren Frau Hanny Leuthold.

ZEHNER JAHRE


Ausbildung: Bern - Köln – Berlin - Paris

 

Im Winter 1908/1909 besucht er in Bern die Kunstgewerbeschule, wo er seine beiden besten Freunde kennenlernt: Carlos Fischer und Otto Morach. Diese Freundschaften halten ein ganzes Leben. Der Maler Otto Morach stirbt an Weihnachten 1973, der Bildhauer Carlos Fischer überlebt ihn um beinahe zwölf Jahre und stirbt 1987 im hohen Alter von 99 Jahren. Die drei Freunde zeichnen zusammen in der Aktklasse ber Ernst Linck. Aus diesem Wintersemester dürfte diese grossformatige Aktzeichnung stammen. Sie ist noch ganz in traditioneller Weise gezeichnet. An ihr lässt sich die grosse Entwicklung bis zum ersten Pariser Aufenthalt aufzeigen.

In diesem Winter in Bern lernt Brügger durch Morach den um fünf Jahre älteren Hermann Röthlisberger kennen. Sie treffen sich häufig in einem vegetarischen Restaurant, das von der Schwiegermutter Röthlisbergers, Frau Schär, geführt wird oder bei Röthlisberger am Dalmazirain. Röthlisberger ist eine interessante Persönlichkeit. Als Freund und Kunstförderer setzt er sich später stark für die jungen Maler Brügger und Morach ein. Nach der Lehrerausbildung, dem Studium der Naturwissenschaften und Mathematik bildete er sich in Deutschland in pädagogisch- philosophischer Richtung weiter und promovierte 1909 mit einer zoologischen Dissertation. Er hat Brügger mit Sicherheit viel von seiner Ausbildungszeit in Deutschland erzählt und ihm möglicherweise geraten, sich in Deutschland weiterzubilden. Röthlisberger war ab 1909 fünf Jahre Methodiklehrer am Oberseminar in Bern und wurde 1914 erster Redaktor an der Zeitschrift "Werk" und förderte als Sekretär die erste Werkbundausstellung im Sommer 1918 in Zürich. Er war einer der wichtigsten Vermittler und Förderer aller kunstgewerblichen Bestrebungen und galt als erstklassiger Referent zum Thema der angewandten Kunst. Als Journalist hat er sich intensiv mit der Plakatkunst beschäftigt. Sein früher Tod im Jahre 1922 beendete sein von hohen Idealen getragenes Schaffen.

 

Berlin 1910 – 1912

Im Frühling 1909 trennen sich die Wege von Morach und Brügger. Morach zieht es nach kurzen Aushilfanstellungen als Sekundarlehrer für ein Jahr nach Paris; Brügger geht nach Deutschland. Bis im Frühjahr 1910 arbeitet Brügger in Köln als Zeichner-Lithograph und besucht abends Kurse an der Kunstgewerbeschule. Die nächste Station ist das so lebendige Berlin, wo er Schaufenster-Plakate malt und Titelseiten für Zeitschriften zeichnet.

Berlin ist zu dieser Zeit neben München das bedeutendste Kunstzentrum Deutschlands. Die "Brücke"-Künstler Heckel, Kirchner und Schmidt-Rottluff verlagern ihren Wirkungsraum von Dresden nach Berlin.

Im März 1910 gründet Herwarth Walden die Zeitschrift "Der Sturm". Daneben erscheinen in Berlin weitere führende Kunst-Zeitschriften wie "Pan" oder "Die Aktion".

Die Jury der Frühjahrsausstellung der "Berliner Secession" weist Werke vieler Künstler zurück. Die Zurückgewiesenen gründen auf Initiative Pechsteins die "Neue Secession", der alle "Brücke"-Mitglieder beitreten. Im Kunstsalon Macht wird sofort die erste Ausstellung der "Neuen Secession" eingerichtet. In der Galerie von Paul Cassirer stellt Oskar Kokoschka erstmals seine Bilder aus. Er ist im ersten Jahr auch der wichtigste Mitarbeiter von Waldens avantgardistischem "Sturm" sowie Assistent an der Kunstgewerbeschule, wo Brügger abends bei Emil Orlik Zeichnungskurse besucht.

Während seines zweijährigen Aufenthaltes in Berlin hat Brügger Gelegenheit, in den Galerien Cassirer und Gurlitt sowie in den ersten Ausstellungen bei Walden in der Galerie "Sturm" wichtige Werke aller "Brücke"- Künstler, aber auch Bilder von van Gogh, Jawlensky, Kandinsky und Marc zu studieren. Es darf angenommen werden, dass Brügger im Frühjahr 1912 auch die Ausstellung der italienischen Futuristen im "Sturm" gesehen hat. In Berlin beginnt sich, unter dem Einfluss der Wegbereiter der neuen Malerei, Brüggers Farbverständnis zu wandeln, der Zeichner wird allmählich zum Maler. Im Frühsommer verlässt er Berlin.

Er trifft in München Otto Morach und Carlos Fischer. Sie besuchen Ausstellungen, zeichnen und malen zusammen. Brügger besucht auch einen Radierkurs bei Robert Engels, der jedoch ohne grösseren Einfluss bleibt.

Paris 1912 - 1913

 

Der Aufenthalt in München ist nur von kurzer Dauer. Es zieht Brügger und Morach nach Paris. Im Gegensatz zu Morach kennt Brügger die französische Metropole noch nicht. In Paris, wo sie Morachs Freund, den Basler Künstler Fritz Baumann treffen, wohnen und arbeiten sie am Rand des Montparnasse, in dörflicher Athmosphäre in der Nähe der Vaugirard-Schlachthöfe. Dort, an der Passage de Dantzig, liegt das Atelierhaus "La Ruche", ein einzigartiger Sammelpunkt für Maler, Bildhauer und Schriftsteller. Hanni, die jüngere Schwester Brüggers, besucht Arnold in Paris auf der Rückreise von einem Verwandtenbesuch in Amerika. Die Schwester bringt von dem Verwandtenbesuch in Amerika die neuesten Erkenntnisse an aktueller Atem- und Ernährungslehre "Mazdaznan" in die Schweiz. Zeitweise haben sich Brügger und Morach stark für die Mazdaznan-Lehre interessiert. Bis an sein Lebensende hat Carlos Fischer nach dieser Lehre gelebt und auch Johannes ltten dafür begeistert.

Die "Ruche" wurde aus übriggebliebenem Material des "Pavillon des Vins" der Weltausstellung von 1900 in Paris erbaut. Mehr als 100 Ateliers werden von Künstlern verschiedenster Nationen in grösster Armut bewohnt. Weder Gas noch fliessendes Wasser sind vorhanden. Die Mieter haben mit primitiven sanitären Einrichtungen vorlieb zu nehmen. Unter anderen arbeiten während des Aufenthaltes von Brügger die Maler Modigliani und Soutine, die Bildhauer Archipenko und Laurens sowie die Dichter Jacob und Cendrars in der Ruche. Marc Chagall lebt ebenfalls von 1911 bis 1914 in der Ruche. Besonders Morach ist von Chagall beeindruckt. Viele Jahre später erzählt er noch voller Begeisterung: "Wir konnten durchs Fenster direkt in das Atelier Marc Chagalls sehen. Er drehte stets die Leinwand von einer Seite auf die andere, wohl um der Realität auszuweichen".

Zu den ersten Ölbildern gehören neben der "Passage de Dantzig" die kleinformatigen "Maler im Atelier" sowie das "Selbstportrait". Sie sind alle geprägt von der starken Auseinandersetzung mit der Malerei von Paul Cézanne und gehören zweifelsfrei zum besten, was Brügger geschaffen hat.

"Als ich 1911 erstmals in Deutschland Bilder von Cézanne sah, traf es mich wie ein Schlag", erinnert sich Brügger später. Brügger nimmt sich dessen Malerei als Vorbild und verarbeitet diese Einflüsse

zusammen mit den Eindrücken aus der Ausbildungszeit in Köln und Berlin zu einem sehr persönlichen Malstil. Brügger ist offen für alles Neue. Er stürzt sich neugierig in das für Bergler so ungewohnte Grossstadtleben im fremden Sprachraum. An der Academie Wassilief zeichnet er viel zusammen mit Morach. Da sie fast kein Geld haben zeichnen sie ihre sogenannten Dreiminutenakte auf billiges, hellbraunes Einwickelpapier, das sie sich bei einem Metzger besorgten. Sie müssen bescheiden leben; tagelang gibt es nur Linsen zu essen. Dieser Parisaufenthalt vom Herbst 1912 bis in den Frühsommer 1913 markiert einen entscheidenden Abschnitt im Künstlerleben Brüggers, der Schritt vom Zeichner-Lithographen zum freischaffenden Künstler.

In einem Lebenslauf, abgedruckt 1921 in "Pro Helvetia – eine nationale Revue", schreibt Brügger mit der Distanz von acht Jahren:

"Erst Paris gab mir was ich suchte: ein ungehemmtes Schaffen, durch nichts kontrolliert als durch die malerische Tradition die Paris eigen ist, und deren Einfluss kein malender Künstler entgeht. Diese Zeit, im Kreise einiger gleichgesinnter junger Leute, war meine fruchtbarste."

In diesem frühen Paris-Aufenthalt ist er zum ersten Mal längere Zeit von der Berufsarbeit befreit. Doch im Frühjahr 1913 zwingen ihn finanzielle Gründe, das durch den Bruder Dres geliehene Geld wurde restlos aufgebraucht, zur Rückkehr nach Meiringen. Damit ist seine eigentliche künstlerische Lehrzeit in Deutschland und Frankreich abgeschlossen.

Meiringen 1913-1917

 

Er übernimmt eine führende Rolle im elterlichen Betrieb und ist für gestalterische Aufgaben tätig. Er kann sich einige Freiräume bewahren und weiterhin zeichnen und malen.

Bereits von Paris aus hat er zwei kleinformatige Ölstudien an die Jahresausstellung des Kunstmuseums Bern gesandt, die im Dezember 1912 unter "Ausstellende Gäste" gezeigt wurden. Der bereits damals sehr aktive Kunstsammler Hermann Rupf schreibt in einer Kritik in der Berner Tagwacht: "... Von ähnlicher verhaltener Stimmung ist die Studie von Arnold Brügper, die bei längerem Betrachten unaufhaltsam gewinnt, wie das in leuchtendem Gelb hingeworfene Stilleben."

 

Die aufstrebende, junge Künstlergeneration hat es schwer, sich in Bern durchzusetzen. Die Ausstellungsmöglichkeiten ausserhalb des Kunstmuseums sind beschränkt. 1914 eröffnet Fritz Brand die erste Kunstausstellung in seinem "Berner Kunstsalon". Nach ersten zaghaften Ausstellungen im Foyer, dem Treppenhaus und den Wandelgängen des Stadttheaters ist die Buch- und Kunsthandlung von Ferdinand Wyss ab 1917 die zweite private Ausstellungsmöglichkeit der jungen Berner Künstler. Die konservativen Künstler wehren sich mit allen Mitteln gegen avantgardistische Maler wie Moilliet, Klee, Morach und Brügger.

Im Sommer 1913 stellt Brügger in der Turnusausstellung im Kunsthaus Zürich sein erstes Selbstbildnis aus. Der bekannte Kunstkritiker der NZZ, Hans Trog, schreibt dazu in einer Besprechung: "Den Einfluss Cézannes verrät deutlich Arnold Brügger. Ein delikates Farbenempfinden macht sich bemerkbar ... Man darf sich diesen Namen merken".

Zusammen mit Otto Morach zeichnet und malt er im Sommer 1913 im Weiler Zaun ob Meiringen. Zu den Freunden stossen auch Hermann Röthlisberger und Johannes ltten. In seinen Erinnerungen "Aus meinem Leben" schreibt dieser: "Bei Hermann (Röthlisberger) traf ich eines Tages zwei junge Maler, die aus Paris kamen, Arnold Brügger und Otto Morach. Sie erzählten begeistert von dem Aufruhr in Paris, den die Kubisten-Bilder unter den Jungen erzeugten. Die Köpfe glühten, wenn die beiden "Pariser" von ihrem Leben dort erzählten. Sie hatten sehr wenig Geld, schliefen auf dem Boden ihres Ateliers, kochten sich alles selbst und verarbeiteten die vielen Eindrücke, welche der Tag ihnen brachte. Sie zeigten Zeichnungen, Bilder und erzählten begeistert von Fritz Baumann, dem dritten "Pariser" aus Basel. ... Ich entschloss mich, im Winter nach Stuttgart zu Adolf Hölzel zu gehen. Vom Onkel lieh ich 500 Franken, 150 Franken hatte ich mir selbst verdient. So reiste ich ab, nachdem ich vorher mit Morach und Brügger noch zwei Wochen in einer Sennhütte ob Meiringen gehaust hatte ...".

Und 1951 schreibt der gleiche Johannes ltten in seinen "Erinnerungen an die Sturm-Zeit": "Wer die Zeit von 1908 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht miterlebt hat, der kann sich kaum vorstellen, in welcher Erregtheit wir jungen, werdenden Maler die neuen Gestaltungen betrachteten und diskutierten. Tage- und nächtelang waren die Form- und Bildraum-Probleme der Kubisten, waren die Simultan- und Bewegungsprobleme der futuristischen Bilder unser heftig diskutierter Gesprächsstoff." Das in Stuttgart im Frühjahr 1915 gemalte, grossformatige Bild «Barmherziger Samariter" stellt ltten an der Weihnachts-Ausstellung Bernischer Künstler im gleichen Jahr neben Arbeiten von Brügger und Morach aus. Da er das Bild offensichtlich nicht verkaufen will, setzt er, ganz im Gegensatz zu den bescheidenen Preisen seiner Freunde, einen prohibitiven Preis von 3000 Franken fest!

 

Brügger hat nur ganz wenig rein kubistische Bilder gemalt. Sie fallen in diese kurze Zeitspanne im Sommer 1913 und sind eher als Versuche zu werten. Bei Bildern aus dieser Epoche fällt es sehr schwer, diese Brügger oder Morach zuzuordnen. Die beiden sollen sich sogar damals den Scherz erlaubt haben, gemeinsam ein heute verschollenes oder eventuell übermaltes Bild zu schaffen, mit "Morger" zu signieren und in einer Privatgalerie in Zürich auszustellen.

Gewisse Bilder Brüggers erinnern zwangsläufig an August Macke. Vor und nach der berühmt gewordenen Kairouan-Reise mit Paul Klee und Louis Moilliet lebt Macke mit seiner Familie in Hilterfingen am Thunersee. In einem Gespräch 1969 mit Hans Christoph von Tavel erinnert sich Brügger, dass ihn Macke zusammen mit Moilliet in Meiringen besucht habe. Möglicherweise hat Brügger schon zuvor in Deutschland Bilder von Macke gesehen. Es bleibt bei diesem einen Kontakt in Meiringen. August Macke fällt bereits im Herbst 1914 in Frankreich. Zu ähnlichen Bildfindungen wie Macke gelangt Brügger in seinen Parkbildern von 1917 – 1919.

Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges werden im Kunstsalon Wolfsberg 44 Malereien Brüggers gezeigt. Ebenfalls vertreten sind in dieser Gruppenausstellung Otto Morach mit Gemälden, Fritz Baumann mit Holzschnitten und Carlos Fischer mit Holzplastiken. Leider fehlt von dieser ersten grossen Ausstellung von Brügger und Morach ein Bilderverzeichnis. Die bisher eruierten Zeitungskritiken geben nur über einen kleinen Teil der ausgestellten Bilder Auskunft.

 

Kriegsjahre

 

Die Einarmigkeit befreit Brügger vom Militärdienst. Die ersten Kriegsjahre verbringt er zumeist im Raum Meiringen. Er malt fleissig und verarbeitet Skizzen und Eindrücke von Paris. Otto Morach leistet an der Grenze Dienst. Sie treffen sich nur selten. Morach beklagt sich mehrmals bei Brügger, dass er sich nicht uneingeschränkt dem Malen widmen könne. Auch Brügger kann sein eben erst begonnenes malerisches Werk nicht ungestört weiterführen. Bis zum Genf-Aufenthalt von 1917/1918 nehmen ihn gestalterische Aufgaben in der Brügger AG stark in Anspruch. Zwischenhinein macht er sich jedoch von der Arbeit im elterlichen Betrieb frei.

So geht aus einem Hüttenbuch der Stierenberghütte im Solothurner Jura hervor, dass Brügger dort mit Morach und anderen Freunden im ersten Kriegswinter einen vergnügsamen Aufenthalt verbracht hat. Auf launige Art hat hier Brügger ein Erlebnis in Versform und Skizze festgehalten. Brügger widmet sich in den Bildern der ersten Jahre nur zaghaft der einheimischen Landschaft. Es scheint ihm kaum noch möglich, eine überregional bedeutsame Kunst mit im Regionalen verwurzelten Sujets zu schaffen. Zu den ersten wichtigen Bildern mit heimatlichen Themen gehört die Phantasielandschaft "Bergdorf".

Die spielzeughafte Dorfszenerie im Vordergrund und die kosmische Allvision im Hintergrund vereinen sich zu einer unwirklichen, aber doch ganzheitlichen Einheit. Etwas Leben ins abgelegene Hasli bringen die ab Februar 1916 in Meiringen internierten kriegsgefangenen Franzosen, Belgier und Engländer.

Er zeichnet die Gestrandeten und malt das kleinformatige Bild "Der Fremde". Vergleicht man es mit der Skizze, ist man von der beinahe
1/1-Übertragung überrascht. Das Bild offenbart einen spontanen, frischen Eindruck und zeigt das Vertrauen in eine Beschränkung auf die kubistische Farbgebung.

Es wird anlässlich der Nationalen Kunstausstellung im Sommer 1917 geradezu euphorisch kommentiert. So besprechen die Kunstkritiker der Neuen Zürcher Zeitung und der Züricher Post das kleinformatige Bild mit "eine geniale lmpression" und "malerisch vorzüglich und geistreich" ! Es wird in der Mainummer der Monatszeitschrift "Schweizerland" abgebildet.

Als Broterwerb entwirft er zwischenhinein immer wieder Drucksachen für den elterlichen Betrieb und arbeitet an graphischen Entwürfen für den Werkbund. Dieser wurde 1914, hauptsächlich auf Initiative von Hermann Röthlisberger, gegründet. Als Redaktor der Werkbund-Monatsschrift "Das Werk", Schweizerische Zeitschrift für Baukunst, Gewerbe, Malerei und Plastik, war Röthlisberger Initiant zahlreicher Wettbewerbe für Plakate, Inserate und Werbedrucksachen. Diese Wettbewerbe und die daraus resultierenden Aufträge waren zu dieser Zeit eine der wenigen Verdienstmöglichkeiten der Künstler. Es erstaunt deshalb kaum, wenn neben damals bestbekannten Graphikern viele junge Künstler an diesen Wettbewerben teilgenommen haben.

 

Röthlisberger schrieb im Vorwort im "Werk" 1914: "Das Kunstleben bildet heute einen unbestritten wesentlichen Faktor im täglichen Leben, besonders seitdem, den modernen Bestrebungen zufolge, der Begriff der Kunst nicht mehr in engherziger Ausschliesslichkeit den Werken des abseits vom täglichen Leben Produzierenden zugesprochen wird, sondern die Kunst überall da gefunden und als solche anerkannt wird, wo schöpferische Tätigkeit bildend am Werke ist."

Mit diesen Ideen vertrat "Röthlis" die gleichen Ideen wie Fritz Baumann, der mit der Gründung der Künstlergruppe "Das Neue Leben" ähnliche Ziele noch kämpferischer ausdrückte: "Die neue Bewegung in der Kunst bedeutet ohne Zweifel eine grosse Kunstwende. Es ist nun eine Tragikkomödie zu sehen, wie sich die Kunst ins Leben und das Leben in die Kunst sehnt. Da gibt es Berge von altem Schutt wegzuräumen, und das tun nur wenige Menschen gerne, der Krieg aber hat viele dazu gezwungen. Darum auch Krieg um die Kunst. Wir wissen, dass unsere Ausstellung zu diesen Worten bescheidener Anfang ist. Die neue Bewegung wird ihre ganze Kraft auf dem Bilde und der Ausstellungsplastik nie zeigen können. Wir begegnen auch deshalb vielen Arbeiten auf Leinwand, die im eigentlichen Sinne keine Tafelbilder mehr sind und sein wollen, sondern Pfeile der Sehnsucht, neue Ideen auszuführen in besserem Material. ... Möge man auch bei uns endlich einsehen, dass die Kunst kein Sport und Zeitvertreib, sondern eine tiefernste Sache, die eng verknüpft ist mit unserem Glück oder Unglück."

Brügger und Morach treffen sich in Bern meistens im Café des kürzlich eröffneten Warenhauses Loeb in der Nähe des Bahnhofes. Sie beobachten stundenlang die Musiker und die Besucher und versuchen, die besondere Stimmung zeichnerisch einzufangen. Brügger ist besonders fasziniert von den Frauen mit riesigen Hüten. In zahlreichen Zeichnungen und in dem expressiven Bild „Der grosse Hut“ kommt dies treffend zum Ausdruck.

Für Arnold Brügger wie für die meisten Künstler seiner Zeit ist die Welt des Kaffeehauses nicht eine x-beliebige Szenerie, sondern der Ort potenzierten Lebens und Erlebens. Ins Kaffeehaus geht man nicht, um etwas zu trinken, es zieht einen an als andere Welt, als schönerer, besserer Kleinkosmos. Im Kaffeehaus bedeutet Alleinsein nie Einsam sein, und die Geselligkeit hat ihre eigenen Formen, noblere als im Wirtshaus, geistigere als in der sogenannten Gesellschaft.

Das Kaffeehaus besitzt sogar seine Sakralität, die alten Kellner wachen wie Hohepriester über gewisse Rituale. Das Café Loeb und in Zürich das Odeon und das Bahnhofbuffet müssen für Brügger gleichsam kleine Aussenstationen der grossen Berliner, Münchner und Pariser Cafés gewesen sein.

Brügger kannte sicher in Berlin das "Café des Westens", das den Spitznamen "Café Grössenwahn" trug, und wir wissen, dass er sich in den grossen Brasserien am Boulevard Montparnasse bewegt hat, also in jenen Häusern, die die Künstler weniger leicht wechselten als ihre Meinung. Da waren nicht nur Zeitungen jeder Richtung und Getränke jedes Geschmacks zu haben, seit einem halben Jahrhundert wusste man auch, dass unvergleichliche Kunstsujets auf das Auge zwischen, an und hinter den Caféhaustischen warteten.

Im Caféhaus ist die Welt überschaubar; mag sie vor der Türe noch so sehr verrückt spielen, im Innern bleibt sie in ihrer ganzen Gegensätzlichkeit verständlich. Nicht wenige Dichter haben in Caféhäusern ihr Werk geschaffen. Staffeleien passen hingegen nicht zur Sakralität dieser Orte; erlaubt ist die schnelle Skizze, und aus der ist bei Toulouse-Lautrec, Grosz und Dix, aber auch bei Brügger und Morach Dauerndes entstanden.

 

Genf 1917 – 1918

 

Für ein Jahr befreit sich Brügger von seinen Berufsaufgaben in Meiringen und lässt sich in Genf nieder, das ihm Paris ersetzt. Der Aufenthalt in der Rhonestadt 1917/18 markiert bei Brügger einen Höhepunkt in seinem Frühwerk. Er schreibt nach Meiringen: "Am Sonntag habe ich das erste Mal den Genuss durchgekostet, in einem Atelier zu sitzen, seit langer Zeit. Es ist doch etwas Schönes so für sich zu sein, ohne alle Augenblicke durch eine Lappalie abgelenkt zu werden." Und weiter: "Es war eine Dummheit sich so lange zu Hause still zu vergraben. Hier ist andere Möglichkeit und Bewegungsfreiheit. Man verliert auch seine Ängstlichkeit in Bezug auf Geld und Gut. ... Gleichzeitig habe ich auch mit Schrecken entdeckt, dass in Bezug auf meine Malerei, ich auch einen Befreiungskrieg durchstehen muss. Ich bin in den vier Jahren Meiringen ein Bourgeois geworden, und den abzustreifen braucht es einige Zeit. Nicht nur Zeit, sondern auch Energie, es ist nicht leicht in meinem Alter wieder ein Bohèmleben anzufangen, und ohne dies geht’s nicht. Also drauf so lang’s noch Tag ist."

Brügger fühlt sich wohl in Genf. Es erinnert ihn an das heiss geliebte Paris. Das Stadtleben regt ihn an. Bei den zahlreichen nächtlichen Streifzügen entstehen die Ideen zu wichtigen Werken Brüggers. Es seien nur "Mann auf Bank", "lm Park" und die "Ile Rousseau" genannt. In diesen Parkbildern und nächtlichen Stadtszenen gelingen ihm Malereien von seItener Ausdruckskraft und malerischer Expressivität.

Der Bruder des Malerfreundes Ernst Morgenthaler, der früh verstorbene Hans Morgenthaler, besser bekannt unter seinem Kurznamen HAMO, hat dieses nächtliche Stadtleben in seinem Buch "In der Stadt" so geschildert: "Städte sind eigentlich nur bei Nacht sich selbst, wenn der störende Lärm des Verkehrs verstummt ist. Wenn die Häuser halb verschlafen, die Strassen und Gässchen leer dalagen, dann wanderte ich, dann war die Stadt mein. Die Stadt ohne Ablenkung! Ganz sich selbst! Ohne sonnenbeschienene Selbstverständlichkeiten, alles ein bisschen märchenhaft, geheimnisvoll, unkenntlich verändert vom nächtlichen Zauber. Wenn die trüben Laternenlichter die Häuserfassaden ins Riesige emporwachsen lassen und die schattigen Türen und Tore wie zu besonderen Abenteuern einladend doppelt gross und schwer und schwarz in den Mauern standen, wie Mäuler von Ungeheuern..."

Der Sammler Dr. Othmar Huber aus Zug hat das aus dieser Zeit stammende Bild "Landschaft mit Brücke und Häusern", bescheiden Landschaft genannt, erworben. Es konnte sich in einer berühmten Sammlung neben grossartigen Bildern von Klee, Macke, Marc, Jawlensky und anderen behaupten. Othmar Huber hat über "seine" Künstler gesagt: "Mir haben von jeher jene Künstler den grössten Eindruck gemacht, die nicht mehr den äussern Schein in seiner Vergänglichkeit abbilden, sondern hinabsteigen in unergründliche Welt- und Seelentiefen, zum noch Ungeformten, zum Primitiven, zum Traumhaften, Spukhaften und zum Dämonischen".

Nach der Rückkehr aus Genf trifft sich Brügger vermehrt mit Otto Morach in Bern.

Die Bauarbeiten für die Kunsthalle gehen, nach jahrelangem Kampf der bernischen Künstler für eine geeignete Ausstellungsmöglichkeit in der Bundesstadt, zügig voran. Sie wird am 5. Oktober 1918 mit einem grossen Fest eröffnet. Brügger ist mit drei Bildern, Resultaten seines Genf-Aufenthaltes, vertreten. Vom heute nicht mehr existierenden Restaurant "Kornhausbrücke" aus, zeichnet er in dieser bewegten Zeit, es geht gegen das Ende des Ersten Weltkrieges, in ein Skizzenheft zwei Entwürfe. Sie zeigen aus erhöhter Sicht die Terrasse des Restaurants mit zwei Figuren an einem Wirtshaustisch mit Geländer in Richtung der Kornhausbrücke mit ihren markanten Pfeilern. Das kurz darauf entstandene Bild stellt er bereits im Frühjahr 1919 in Winterthur ein erstes Mal aus. Aus nicht bekannten Gründen schneidet Brügger das Bild kurz nach der zweiten Ausstellung Ende 1919 in Zürich in vier Teile. Bis auf wenige kleine Ergänzungen (stilisierte Personen auf der Brücke, sowie eine Flasche mit Glas beim Arm des Mannes am rechten Bildrand) lässt er das Bild unverändert. Die Wirkung der vier einzelnen Bilder ist überraschend.

 

"Das Neue Leben" 1918 – 1920

 

Der Initiator der Künstlerpruppe "Das neue Leben" ist der Basler Fritz Baumann. Brügger lernte ihn durch Otto Morach im September 1912 in Paris kennen. Morach und Baumann haben sich bereits im Winter 1909/10 in Paris getroffen.

Baumann schart bei der ersten Ausstellung im November 1918 in der Kunsthalle Basel eine kleine Gruppe von bekannten Künstlern um sich, wie Hans Arp, Alice Bailly, Arnold Brügger, Oscar Lüthy, Otto Morach und Sophie Taeuber, die Basler Niklaus Stoecklin und Alexander Zschokke sowie Francis Picabia.

Die Gruppe wird ergänzt durch Kunstgewerblerinnen und Schülerinnen von Baumann. Er schreibt zu dieser ersten Ausstellung in einem flammenden Manifest: "Wir glauben nur an eine Kunst. Es gibt für uns nicht den nach Graden unterteilten Unterschied von sogenannter freier, dekorativer oder kunstgewerblicher Kunst. Wir unterscheiden Kunst oder Nichtkunst". Die Mitglieder, der sich gegenüber Künstlern verschiedenster Nationalitäten und Richtungen offen zeigenden Künstlergruppe, wechseln ständig. Es kommen unter anderen neu als wichtige Mitglieder Augusto Giacometti und Marcel Janco hinzu. Andere kehren bereits nach der ersten oder zweiten Ausstellung der Gruppe den Rücken. Während Baumann für die Organisation der Basler Ausstellung verantwortlich ist, kümmert sich Morach um die zweite Ausstellung des "Neuen Lebens" im Januar 1919 im Kunsthaus Zürich.

Ab Weihnachten 1918 wohnen Brügger und Morach für einige Wochen zusammen in Willigen bei Meiringen, wo sie intensiv arbeiten. Während dieses Zusammenlebens schreibt Brügger humorvoll an die gemeinsame Bekannte, die Künstlerin Johanna Fülscher aus Winterthur: "Wie lange diese Heirat anhält weiss der Teufel. Vielleicht kann es heute oder morgen vergehen."

Brügger ist in den beiden ersten Ausstellungen nur mit acht resp. zwölf Ölbildern vertreten. In der dritten Ausstellung in Bern im Januar 1920 präsentiert er mit 26 Ölbildern die grösste Werkgruppe aller Teilnehmer. Sie ist beinahe identisch mit den kurz zuvor im Kunstsalon Wolfsberg gezeigten Bildern. Diese Ausstellung, zusammen mit Otto Morach bestritten, ist die zweite nach 1914 in der führenden privaten Kunstgalerie Zürichs. Brügger stellt vor allem die Bilder des so fruchtbaren Genf-Aufenthaltes aus.

Der Freund und wichtige Förderer der beiden Künstler, Hermann Röthlisberger, schreibt ein ausgezeichnetes Vorwort zur Wolfsbergausstellung:

"Jeder geistig regsame Mensch beschäftigt sich heute mit der Entwicklung der neuzeitlichen Malerei. Er möchte nicht, dem früheren Usus gemäss, mit einem Kopfschütteln vor den Bildern stehen und mit einem billigen Witzeln von dannen gehen. Er möchte sich hineinfinden. Dieses Hineinfinden gewinnt keiner durch vieles Reden und Gestikulieren, noch weniger durch Lesen, wohl aber durch Sehen, durch ein eigenes Hineinfinden vor den Werken selbst. Geben und Nehmen, beides beseelt von einem ehrlichen Bemühen.

Jenes Hineinfinden ist mit dieser Ausstellung vermittelt, da sie ausgesprochen neuzeitliche Werke bietet, daneben aber etliche frühere gleichsam als Brücken stehen lässt. Sie vereinigt eine umsichtig beschränkte Auswahl aus einer längeren Schaffenszeit; bietet keine sprunghafte Einstellung auf Neues und Allerneuestes; aber Gewachsenes zeigt sie, Stück um Stück.

Die fünfzig Bilder sind Stundensteine, die bloss erraten lassen, was dazwischen liegt. Sie berichten vom Werdegang zweier Künstler, die für ihre Empfindung nach einem zwingenden Ausdruck strebten, jeder seiner Anlage, seiner Wärme gemäss. Der eine im lyrischen Aufgehen, im Wohlgefühl vor dem farbig sonnigen Schnee, vor dem Föhn und vor den Gletschern, die ihm längst vertraut und doch mit jedem Tag aufs Neue eindrucksmächtig sind. Der andere, ebenso stark benommen vom Eindruck, von Kirchen mit ihren Festen, vom Qualm und Lärm der Fabriken, von Kindheitserinnerungen, die er wie Gesichter festhält, sie in den Farben steigert, sie aufteilt, um aus den Teilen eigenwillig ein neues zu schaffen. Völlig verschieden stehen beide dem ersten Eindruck gegenüber und grundverschieden sind beide in der Art der inneren Wandlung. Doch eins sind sie im unablässigen Ernst des Wollens, jeder Verkennung zum Trotz und in einer schlichten, wohltuenden Ehrlichkeit."

DIE FRÜHEN ZWANZIGER JAHRE


Aus unbekannten Gründen fehlt Brügger bei der vierten Ausstellung des "Neuen Lebens" im Juni 1920 in Basel.

Er heiratet im Herbst 1920 Hanny Leuthold aus Meiringen, die ihn während fünfzig Jahren in seinem künstlerischen Schaffen mit Geduld, Freude und immerwährendem Optimismus unterstützen wird. Sie leben die ersten Jahre in Hausen bei Meiringen, wo auch der erste Sohn, Kaspar, auf die Welt kommt. 1924, im Jahr der Geburt des zweiten Sohnes, Arnold, lebt die Familie im 350 Jahre alten Holzhaus an der Kapellen in Meiringen, das als eines von wenigen die verheerenden Dorfbrände der Jahre 1879 und 1891 überdauert hat.

Brügger ist als Mensch und Künstler stark auf ein intaktes Zuhause angewiesen. Er schätzt die Ruhe und Geborgenheit im heimatlichen Hasli, die starke Verwurzelung in Traditionen und den Umgang mit seinen Freunden im Dorf. Die Liebe zu den Bergen, zu seiner Umgebung sind zutiefst in ihm verankert. Genauso stark äussert sich der Drang, zeitweise der Enge seines Tales zu entfliehen.

Brügger ist zu dieser Zeit ein sehr vielseitiger Künstler. Es erstaunt kaum, dass er neben Zeichnungen, Aquarellen, Ölbildern und vielfältigen grafischen Arbeiten (Plakate, Prospekte, Inserate, etc.) auch Möbel entwirft, Dekorationen für
"Drii Meitleni vun Isenbolgen" malt, ein Stück seines Schwagers Fritz Ringgenberg, das im Marionetten-Theater Meiringen aufgeführt wird, und Frauen aus dem Dorf Entwürfe für Stickereien liefert. In späteren Jahren ergänzen Wandmalereien und Glasfenster für die Kirchen in Meiringen und Innertkirchen das vielseitige Werk.

 

Damit Morach sein freies, rein künstlerisches Schaffen weiterführen kann, zieht er seine Lektionen an der Kunstgewerbeschule Zürich zusammen. So kann er im März 1922 zusammen mit Brügger nach Weimar reisen und Johannes Itten am Bauhaus treffen: "Samstags sollten wir auf alle Fälle in Weimar sein, dann hat Itten Hochbetrieb als Schulmeister."

 

Stipendienreisen nach Berlin und Hamburg

 

Nach mehreren erfolglosen Bewerbungen um ein eidgenössisches Kunststipendium erachtet ihn die Kunstkommission 1922 endlich (zum ersten und letzten Mal) als preiswürdig. Das Stipendium ist mit der Auflage verbunden, sich ein Jahr weiterzubilden. Aufgrund fehlender Ausbildungsmöglichkeiten in der Schweiz ist Brügger wie seine Kollegen gezwungen, ins Ausland zu reisen.

 

Im Winter 1922/1923 lässt sich Morach für ein halbes Jahr von der Kunstgewerbeschule beurlauben. Er arbeitet vor allem in Berlin und besucht die norddeutschen Städte. Aus dieser Zeit stammen seine roten Kathedralen und Architekturbilder. Er schreibt Brügger aus dem Norden und verheisst ihm Theater-, Konzert- und Kinobesuche, wogegen Paris und Florenz nicht aufzukommen vermöchten. Brügger kann nicht widerstehen. Berlin, das er von früher her gut kennt, reizt ihn. Mehrere Monate ist er mit Morach zusammen. Dieser stellt ihn dem Schweizer Kunstgeschichtestudenten Walter Hugelshofer vor, der sich später einen Namen als Kunsthistoriker macht. Hugelshofer schreibt 1968 zum 80. Geburtstag Brüggers: "Damals lernte ich diesen unermüdlichen Sucher kennen. Es war im Winter von 1922 auf 1923. Ich war Student in Berlin. Otto Morach, in dem Brügger einen Malfreund fürs Leben gefunden hatte, brachte ihn mir. Es war eine in der Tiefe erregte Zeit. Deutschland hatte den Krieg verloren. Eine rapide Verminderung des Geldwertes zerstörte das Land. Die gewaltsam veränderten Verhältnisse setzten viele schöpferische Kräfte frei. Berlin war eine der interessantesten und anregendsten Städte. Kaum wurde man der Fülle der Eindrücke Herr.

Arnold Brügger: klein von Wuchs, feingliedrig, sehnig und kraftvoll. Ein schwarzer Bart umrahmte das hellhäutige Gesicht. Er war wortkarg und verschlossen, wie es Bergbewohner oftmals sind. Wenn er sprach, klang sein altertümliches "Haslitiitsch"  eigenartig kräftig und anziehend an mein ungewohntes Ohr, etwas stossweise und machmal von warmem Humor gewürzt. In dieser Sprache sprudelten geheimnisvoll uralte Brunnen. Den stärksten Eindruck machten mir die Augen. lhre brennende Glut liess diesen ungewöhnlichen Menschen sprechen, auch wenn er nichts sagte. Der Blick kam von tief innen herauf. Eine manchmal fast verzehrend wirkende geistige Intensität und ein ungemein harter Wille sprachen sich hier aus."

Auf der Rückreise entschliesst sich Brügger zu einem Umweg über Hamburg. Dort entsteht die ldee für das bekannte Bild "Am Hafen", später auch "Hamburg "genannt. Das grossformatige Bild wird erstmals im Frühjahr 1923 im Kunsthaus Zürich gezeigt.

SCHWIERIGE JAHRE


Die folgenden zwanzig Jahre zählen zu den künstlerisch schwierigsten für Brügger. Nach 1923 stellen sich bescheidene Erfolge ein. 1924 kauft die Eidgenossenschaft das erste Bild von Brügger aus der XI. GSMBA-Ausstellung im Kunsthaus Zürich. Der Kanton Bern und die Eidgenossenschaft gehören zu den wenigen Käufern seiner Bilder.

Mit seinem engsten Malerfreund Otto Morach hat er, ohne materiellen Erfolg, wichtige Ausstellungen in Bern und Basel. So 1925 und 1931 in der Kunsthalle Bern, 1928 in der Kunsthalle Basel und 1932 bei der Galeristin Bettie Thommen ebenfalls in Basel. Diese Ausstellung sollte jedoch für beinahe vierzig Jahre die letzte gemeinsame Bilderschau sein. Morach konzentrierte sich zunehmend auf seine künstlerisch-erzieherische Aufgabe an der Kunstgewerbeschule in Zürich.

 

Die Hauptreiseziele Arnold Brüggers der Zwanziger und Dreissiger Jahre sind vor allem Paris sowie der Süden Frankreichs. Zwischen 1927 und 1930 lebt er insgesamt mehrere Monate in Marseille und der näheren Umgebung. Er fühlt sich angezogen von den südlichen Stimmungen, insbesondere faszinieren ihn Hafenlandschaften am Vieux Port, das lebhafte Gedränge in den Gassen von Marseille, aber auch die felsige Küste und das Meer. Die zahlreichen Gemälde aus dieser Zeit bleiben jedoch der Stimmung der Landschaften aus der Bergheimat treu. Er findet in der mediterranen Umgebung nicht etwa das Licht des Südens; er malt auch hier eher dunkeltonige Bilder. Bis 1939 weilt Brügger jedes Jahr, meist im Spätherbst, für zwei bis drei Monate in Paris. Zeitweise zieht es ihn auch im Frühling für einige wenige Wochen in die damalige Welthauptstadt der Kunst.

 

Während mehreren Jahren teilt er mit Morach die hohen Kosten eines Pariser Ateliers, das sie zwischenhinein an andere Schweizer Künstler untervermieten. Er pflegt auch enge Kontakte zum Lothringer Bildhauer Marc Leroy, der wiederum mit Max Gubler befreundet ist. Die freundschaftlichen Beziehungen zu Gubler finden später in der Schweiz ihre Fortsetzung. Lockere Freundschaften verbinden ihn mit vielen der Schweizer Künstler, die in Paris leben und arbeiten. Zu ihnen zählen etwa Fritz Pauli, Serge Brignoni und der Bildhauer Eduard Spörri, mit dem er Aristide Maillol in MarIy-le-Roi besucht. Die Künstler treffen sich in den Cafés, den Museen und den Galerien der bedeutenden Kunsthändler. Bei der wichtigen Ausstellung von Schweizer Künstlern 1931 in der Galerie Georges Petit ist Brügger nicht vertreten. Er stellt jedoch vereinzelt im Salon d’Automne und im Salon des Tuileries aus.

 

Der künstlerische Effekt der Paris-Aufenthalte in den späten Zwanziger Jahren und den Dreissiger Jahren ist, von einigen bedeutenden Strassenbildern abgesehen, relativ bescheiden. Allzu sehr darf dies nicht überraschen: auch andere grosse Schweizer Künstler, etwa Albert Anker oder Cuno Amiet, hatten in Paris ihre Ateliers, ohne sich wesentlich durch den Geist der Metropole beeinflussen zu lassen. Die Arbeit in Paris war für einige Künstler Schaffensnotwendigkeit, für andere wiederum eine Künstlerkonvention. Paul Nizon hat die Frage gestellt: "Was hatten sie gesucht, die Pilger, Ausbrecher, Kunstreisläufer? Die Überwindung des provinziellen Horizontes? Das Weltbedeutende des Zentrums? Das Ansteckende und Anstachelnde durch den "Puls der Zeit"? Solchen Stromanschluss, Weltanschluss? Oder einfach, im Unterschied zum kargen hölzernen Boden daheim, die von Ideen, zeitgenössischen Ideen knisternde Atmosphäre? Die Ermutigung durch ein aus unzähligen Künstlerviten und -schicksalen geradezu buntscheckig wirkendes Welttheater, mitsamt der dazugehörigen Toleranz selbstverständlich? Die grosse Herausforderung?"

Einfache Antworten sind da deplaziert und würden einem Künstler wie Arnold Brügger nicht gerecht.

In der Schweiz konzentrieren sich die künstlerischen Kontakte auf die vorgenannten Maler und Bildhauer, das Ehepaar Surbek, mit dem er Bergtouren unternimmt, sowie auf Ernst Morgenthaler. Die Beziehungen mit den Malern Flück, Kündig, Stauffer und anderen beschränken sich auf gemeinsame Ausstellungen.

Isolation im Zweiten Weltkrieg

 

Ab Ende der Dreissiger Jahre zieht sich Brügger definitiv nach Meiringen zurück. Die Schliessung der Grenzen trifft ihn hart. Was es bedeutet, als Schweizer Künstler auf die Schweiz allein angewiesen zu sein, beschreibt Albin Zollinger in seinen Kriegsromanen "Pfannenstiel" und "Bohnenblust" sehr bildhaft. Die Welt reduziert sich auf drei, vier Hektakilometer im Quadrat. Diese Verengung hat die verschiedensten Folgen. Eine Folge hat sie nicht: lm Kampf gegen das faschistische Ausland erfährt die in Nachbarstaaten verfemte fortschrittliche Kunst bei uns nicht die grosse Unterstützung. Die Fahne der neuen Kunst lässt man nicht munter neben dem Schweizer Kreuz flattern, man zieht sie auf Halbmast. Die nicht wenigen Publikationen, die anlässlich der Schweizerischen Landesausstellung 1939 in Zürich Bilanz übers kulturelle Schaffen ziehen, zeigen ein Kunstpanorama, das sich äusserlich nicht allzu sehr von der patriotischen Kunst des Hitler-Deutschland unterscheidet, ja sogar hinter progressiveren Leistungen von Mussolinis ltalien zurückbleibt. Die Gunst der Stunde schlägt dem Neoklassizismus. Und offensichtlich ist die neue helvetische Kulturpolitik nicht bloss das Produkt einzelner Funktionäre: die Künstler passen sich dem übermässigen Druck der Zeit an, die Sammler, soweit sie die düsteren Zukunftsperspektiven noch zum Kaufen animieren, halten sich zurück. Der Berner Amiet-Sammler Eduard Gerber hat beispielsweise anfangs der Vierziger Jahre zwei der bedeutendsten Amiet- Gemälde aus der Zeit um 1910 für einen lächerlichen Betrag erworben. Offensichtlich brach nicht nur der Markt für avantgardistische Kunstwerke, sondern auch für kaum umstrittene Werke aus früherer Zeit zusammen.

 

Arnold Brügger verlässt das heimatliche Meiringen nur noch selten, etwa für Ausstellungsbesuche oder um in Zürich im Odeon oder im Bahnhofbuffet Künstlerfreunde zu treffen. So schreibt er Otto Morach: "Ich lebe zurückgezogen wie ein Murmeltier und nehme, was mir von selber zukommt." Oder etwa an seinen Sohn Arnold 1951: "Als Ersatz für die Museen hat man hier die Naturnähe, muss aber mehr aus dem hohlen Ranzen herausholen."

Zu den Folgen des selbstgewählten Rückzuges schreibt er: "Man muss eben eine gewisse Vereinsamung in Kauf nehmen. Wenn man mit dem grossen Strom schwimmt, hat man keine innere Befriedigung. Standfestigkeit im Malen ist so nötig wie beim Skifahren, ich hatte sie nicht immer."

Bei seinen Freunden und Bekannten ruft er sich jeweils zum Jahreswechsel mit Lithographie-Geschenken in Erinnerung. Über viele Jahre hinweg schafft er schwarz-weisse und farbige Lithographien, die breite Anerkennung finden. So hingen noch lange in den den Erstklass-Eisenbahnwagen der Schweizerischen Bundesbahnen Farblithographien von Brügger.

In Meiringen sesshaft geworden, vereinheitlichen sich seine Motive: Er setzt sich nun vor allem mit Natur auseinander. Es entstehen in erster Linie Landschafts- und Bergbilder. Er stellt auch Bauern, Holzer und Handwerker bei der Arbeit dar. Brügger kennt die Berge bei jedem Wetter, zu jeder Jahreszeit. Mit Vorliebe malt er die Berge umhüllt von Nebelschwaden, in einer beinahe gespensterhaften Stimmung. Als guter Beobachter der Natur interessiert ihn das Spiel von Wolken und Wind und der Wechsel von Schatten und Licht.

SPÄTERE JAHRE


Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg

 

Im Frühling 1945 bricht sich Brügger beim Skifahren ein Bein. Die damaligen Behandlungsmethoden zwingen ihn zu einer beinahe halbjährigen Malpause. Er liegt lange im Krankenhaus. Offensichtlich hat ihn die Bettruhe in fruchtbarer Weise aus der Bahn geworfen: geheilt zeigt er sich imstande, an Meisterbilder des Frühwerks anzuknüpfen und mit der Kontinuität der jüngsten, nicht immer sonderlich innovativen Entwicklung zu brechen. Er verwendet gröbere Pinsel und seine Farbpalette wird wieder differenzierter. Das Ende des Zweiten Weltkrieges gibt ihm zusätzlichen Auftrieb. In grossen Einzel-Ausstellungen 1951 in Schaffhausen und besonders in der durch den innovativen und überaus anspruchsvollen Arnold Rüdlinger 1954 in der Kunsthalle Bern eingerichteten Ausstellung wird das Gesamtschaffen Brüggers vorgestellt.

Rüdlinger schreibt im Vorwort zum Katalog:

"... Brüggers Frühwerk ist wenig bekannt; es wird darum vielleicht die Überraschung der Ausstellung sein. Man spürt die heftige Auseinandersetzung des jungen Malers mit Macke und Kirchner. Paris und der Midi zeigen ihren Einfluss im Sinne einer gesteigerten Farbigkeit und sehr spontanen und vielfältigen Motivwahl. Bei aller Weltoffenheit blieb Brügger der Bergler, der sich nicht auf immer der Heimat entziehen konnte. Mit der ihm eigenen Zähigkeit suchte er sich künstlerisch zu bewältigen. Die Bilder der letzten Jahre wirken in ihrer Technik freskal, zeigen einen klaren Zug ins Monumentale. ..."

 

Im Jahre 1964 verlieh Ihm die Einwohnergemeinde Meiringen die Ehrenbürgerschaft.

  

Er findet spät seine künstlerische Anerkennung bei einem breiten Publikum. Kunstliebhaber, Museen und Stiftungen kaufen seine Bilder. Eine rege Ausstellungstätigkeit setzt ein. Er ist überrascht von dem späten Erfolg. Er schrieb dazu 1966 seinem Freund Otto Morach:

"Ich hätte nie geglaubt, dass eine gewisse Erfolgswelle auch bei mir spürbar ist. ... Es freut mich, dass du auch offiziell die gebührende Anerkennung erlebst." Und etwas später: "So rückblickend ist es mir heute klar, dass unser Zusammentreffen in Bern irgendwie mitbestimmend war für alle spätere Zeit. Dafür bin ich dem Schicksal dankbar. Ich nehme an, dass auch du ähnlich denkst über unsere Freundschaft, die unsere Freiheit nie gefährdete. Dass wir beide nun als alte Knaben eine schöne Anerkennung erleben dürfen gehört wohl auch ins selbe Kapitel."

 

1971 wird im Thunerhof in Thun das Frühwerk der beiden vorgestellt. Die durch den jungen Künstler Peter Wullimann eingerichtete Ausstellung findet grosse Beachtung und darf, zusammen mit der durch Heinz Keller und die Galeristin Bluma Strunskaja initiierten Ausstellung von 1970 in Winterthur, "Kubismus, Futurismus und Orphismus in der Schweiz", als Auslöser für die späte Anerkennung des Frühwerks der beiden Freunde betrachtet werden. lhnen ist es zu verdanken, dass das Frühwerk der beiden Künstler aus der Versenkung geholt wurde und wichtige Werke den Weg in Museen und private Sammlungen gefunden haben.

 

Arnold Brügger stirbt am 2. April 1975 in Meiringen, wo er, nur wenige Schritte von seinem Wohn- und Atelierhaus entfernt, begraben ist.